„Votez Kamerhe“ – Wahlkampf mit dem „Kongo Tribunal“
Die letzte Vorführung des Kongo Tribunals ist in Panzi, einem ärmlichen Vorort von Bukavu. Alternativ-Nobelpreisträger Denis Mukwege betreibt hier ein Krankenhaus, wo er inzwischen 50.000 vergewaltigte Frauen und Kinder „repariert“ hat. Klingt zynisch, ist aber so. So heißt auch der Dokumentarfilm von Thierry Michel und Colette Braeckman.
Mukwege ist sehr angesehen. Dass er sich für den Film angekündigt hat, lockt Massen an. Am Ende ist es aber vor allem wegen der vielen Anhänger von Vital Kamerhe, dem oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, dass das mobile Kino spontan vom Krankenhaus in eine riesige Kirche umzieht. Auf dem Dorf waren es noch Polizisten mit Helm, Schild und Schlagstock, die den Eingang gesichert haben (es wollen immer viel mehr Leute in die Vorführungen als es Plätze gibt, und zwar immer alle gleichzeitig). Heute stehen UN-Soldaten in schusssicheren Westen und Maschinengewehren vor der Kino-Kirche.
Seit der ersten Vorführung nutzt Vital Kamerhe die Filmtour für öffentlichkeitswirksame Auftritte. Seine Wahlkampftour macht genau dann dort Station, wo „Das Kongo Tribunal“ gezeigt wird. Dabei kommt er im Film nur sehr kurz vor. Vorher und nachher nutzt er die Zeit, um triumphal durch den Ort zu marschieren, gefolgt von jubelnden Anhängern.
– Wobei, Wahlkampf kann man das eigentlich nicht nennen. Denn es gibt ja immer noch keinen Wahltermin. Eigentlich hätte Joseph Kabilas zweite und letzte Amtszeit 2016 enden müssen. Laut Verfassung darf er nicht noch mal kandidieren. Doch er hat die Wahl einfach nicht organisiert. Man müsse zuerst den Zensus zählen, die Wahl vernünftig und sicher organisieren, bla. Die meisten hier – und in der Welt (s. Spiegel) – denken, dass das ein Vorwand ist, um an der Macht zu bleiben. Manche befürchten gar, dass er die Verfassung ändern möchte, so dass er noch ein drittes Mal kandidieren darf.
Wenn man sieht, wie Kamerhe hier angehimmelt wird, scheint es allerdings unwahrscheinlich, dass Kabila langfristig durchkommt. Wo er auftritt, sind die Leute on fire. Während der Podiumsdiskussion nach dem Film stürmt plötzlich ein Mann nach vorn und berührt Kamerhes Knie. Die Zuschauer um mich rum reagieren so amüsiert-verstört wie ich. Der Mann wird sanft abgeführt, doch Kamerhe hält die Bodyguards mit gönnerhafter Geste ab: „Lasst ihn doch, er wollte mich nur berühren.“ Weird… .
Die Menschen sind arm, die Botschaft des Films ist stark, und Kamerhe kommt gern mal 10 Minuten zu spät, so dass der Film wegen Standing Ovations kurz in den Hintergrund gerät. Highjackt da einer den Film, weil die Botschaft bei seinen potenziellen Wählern gut ankommt? Kamerhe mag ein guter Typ sein, intelligenter und weniger korrupt als die aktuelle Regierung. Aber wirklich machtfern ist er auch nicht. Unter Kabila war er Parteivorsitzender, Wahlkampfleiter und Präsident der Nationalversammlung. Als Kabila 2009 ruandischen Truppen erlaubt, sich im Land niederzulassen, streiten sich die beiden Spitzenpolitiker. Kamerhe tritt zurück und gründet eine eigene Partei.
Milo Rau sagt, er nutze den Politiker umgekehrt genauso aus. Er lasse die Auftritte bewusst zu, um den Film bekannter zu machen. Aber muss man den Politiker dafür länger reden lassen als alle anderen auf dem Podium, obwohl das Publikum durchaus Lust hatte, über den Film zu reden?
Demokratische Republik Kongo
Darauf wollte ich eigentlich hinaus: Ich bin tief beeindruckt vom demokratischen Geist der Kongolesen. In der Kirche ist jeder der 2.500 Plätze besetzt (ich sagte ja: große Kirche). Irgendwann wird es am Eingang unruhig. Im Gegenlicht sehe ich plötzlich Menschen reinströmen. Viele Menschen. Kurz wird es unruhig im Saal. Wird die Kirche gestürmt? Massenpanik? Mein Herz klopft ein bisschen schneller, mein deutsches Gemüt guckt sich nach dem nächsten Notausgang um. Doch die Menschen stellen sich einfach an den Rand und gucken mucksmäuschenstill auf die Leinwand. Nur wenn sie applaudierend, schimpfend oder auch mal lachend auf den Film reagieren, wird es kurz laut. Zum Beispiel, als es vor dem Tribunal darum geht, dass die UNO auf ein Massaker nicht reagiert hat, obwohl es eine MONUSCO-Station in der Nähe gab. – Skurriler Moment, weil ja UN-Soldaten im Saal sind. Aber die bleiben stoisch.
Danach diskutiert der Saal, hauptsächlich in Suaheli. Die Atmosphäre ist emotional, aber sehr konzentriert. Die Moderatorin, Journalistin Solange Lukusi, um die es hier noch gehen wird, achtet penibel darauf, dass nach einem Jungen immer ein Alter zu Wort kommt, nach einer Frau wieder ein Mann. Dass mal einfache Menschen sprechen, dann wieder Intellektuelle.
Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob sich eine 1,40 m große Greisin, offensichtlich eine sehr einfache Frau, in Deutschland ohne Weiteres trauen würde, vor 2.500 Menschen, vor Politikern und Honoratioren nach vorne zu treten und, das Mikro fest in der Hand, ihr Leid zu klagen.
Mir scheint, von ihrem Geist her, ist die Demokratische Republik Kongo wirklich demokratisch.
„Wir sind gelähmt, haben uns zu sehr an die Misere gewöhnt. Daran, dass die Regierung korrupt ist, dass es keine Gesetze gibt, die uns schützen, und keine Gerechtigkeit. Der Film hat das Potenzial, uns wachzurütteln.“ – „Wer wird die UNO zur Verantwortung ziehen?“ – „Jemand muss organisieren, dass der Film im Parlament gezeigt wird!“ Die Forderungen sind präzise, konstruktiv. Und das bei einem Film, der dicht und komplex erzählt, den man echt konzentriert gucken muss. Und in einem Land, in dem jemand, der kritisiert, einfach verschwinden kann. Wo es danach noch nicht mal eine Untersuchung gibt.
Schnell noch ein paar Interviews (während dem letzten macht der Pfarrer schon das Licht aus), dann treten wir staubig, bewegt und nachdenklich in die Nacht.