Kigali ist noch genauso wie ich es von der letzten Reise 2011 in Erinnerung hatte: sauber, ordentlich, kontrolliert wuselig – ein bisschen langweilig. Die Straßen sind glatter asphaltiert als bei uns in Berlin, auf dem Boden nicht ein einziges weggeworfenes Kaugummipapier. Im Zentrum hohe Bürohäuser mit verspiegelten Fenstern. Und überall Arbeiter auf Baugerüsten, die noch mehr Hochhäuser bauen. Selbst der Straßenlärm wirkt irgendwie beherrscht.
Präsident Paul Kagame ist jetzt seit 23 Jahren im Amt, seit er mit einer Rebellenarmee gekommen ist und den Genozid gestoppt hat. Er hat den Hutu und Tutsi die Versöhnung verordnet: Täter mussten sich öffentlich bei Opfern entschuldigen. Die waren aber auch gezwungen, die Entschuldigung anzunehmen. Kagames Hauptstrategie: Wohlstand, Bildung, Modernisierung der Wirtschaft: Ruanda soll Afrikas Singapur werden, mit Glasfaserkabeln im ganzen Land und Computern an allen Schulen.
Im August stellt sich Paul Kagame zur Wiederwahl. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht wirklich. Andererseits hat sein Kurs, das muss man schon sagen, das Land enorm vorwärts gebracht. Das wird vor allem der Kontrast zum Ostkongo zeigen.
Kein Visum für Tribunal-Vorsitzenden Gilissen
„Das eigene kleine Leben – bei allem, was in der Welt passiert, ist das nicht genug.“ Die Stimme von Jean-Louis Gilissen bricht, als er das im „Kongo Tribunal“-Film sagt. „Für wen halte ich mich, das hinzunehmen? Sieben Millionen Tote sind zu viel. Deshalb brauchen wir das Kongo Tribunal.“
Nun kommt Jean-Louis Gillissen doch nicht, wie geplant, mit auf Film-Tour. Er hat kein Visum für den Kongo bekommen. Der belgische Strafrechtsexperte war Anwalt beim Prozess gegen ostkongolesische Milizenführer am internationalen Strafgerichtshof von Den Haag. Er war am UNO-Bericht zur Lage im Ostkongo beteiligt, der die Situation dort als „Genozid“ bezeichnet. Das und die verschärften EU-Sanktionen gegen den kongolesische Regierungsmitglieder könnten bei der Ablehnung seines Visumsantrags eine Rolle gespielt haben.
Erwartungen an die Filmvorführung
Nicht nur deshalb ist es Milo Rau vor der Reise ein wenig mulmig. Er hat versucht, allen Akteuren im Kongo gleichermaßen „ans Bein zu pinkeln“. Auf dem Rollfeld in Istanbul erzählt er, warum die Filmvorführung für einige problematisch werden könnte (sorry für den lauten Wind – beim nächsten Video denke ich dann auch an den Puschel).
Nach Bukavu
Wir fahren durch die Hügel zum Grenzübergang am Kivu-See und machen zu Fuß rüber in den Kongo: Auf ein paar Holzplanken über den Rusizi-Fluss, und wir sind da.
Die Stimmung wechselt sofort. Herzlicher, temperamentvoller. Im winzigen Immigrationsbüro drängen sich 10 Leute. Der Grenzbeamte drückt mir erst mal herzlich die Hand, als freute er sich, mich nach langer Zeit wiederzusehen. Ich überlege schon ernsthaft, ob er mich vielleicht verwechselt, aber er stellt sich allen so vor: Ich bin Jacques. Angenehm, enchanté.
Colette Braeckman kennt er aber wirklich. Die Belgierin ist Auslandskorrespondentin der Zeitung „Le Soir“. Sie kennt hier jeden. Literally. Mit Colettes Journalistenakkreditierung stimmt was nicht. Aber wir können sie unbesorgt allein an der Grenze zurücklassen. In ihrem Handy sind genug Nummern von Leuten gespeichert, die ihr helfen können. Zur Not sogar die von Präsident Kabila.
Nur eine Stunde später stößt sie gut gelaunt zu uns: Ein Anruf beim Medienminister, und die Sache war geritzt. Die Frau ist saucool. Kaum ein europäischer Journalist kennt sich mit dem Kongo so gut aus wie Colette Braeckman. Sie wirkt unheimlich jugendlich: melodische Stimme, weit geöffnete Augen. Sie berichtet von hier, seit die DR Kongo noch Zaire hieß und Diktator Mobutu an der Macht war. Nach all den Jahren keine Spur von Frust, von Abgelutschtheit. Colette fragt neugierig, erzählt enthusiastisch und haut am laufenden Band druckreife Sätze raus wie: „Regierungen vergehen, aber die Wahrheit bleibt.“
Beim „Kongo Tribunal“ saß Colette in der Expertenjury. Sie setzt große Hoffnungen in den Kongo-Film: