Gestern keinen Empfang gehabt, daher kein Blog. Sie haben „Das Kongo Tribunal“ in Mushinga gezeigt, einem Dorf auf dem Hügelkamm.
Wenn die Rohstoffabbaukonzerne irgendwo graben wollen, wo Leute wohnen, dann werden die einfach umgesiedelt. Dorfweise. Es gibt kein Gesetz, das die Kongolesen davor schützt, dafür aber rechtlich bindende Konzessionen an die Firmen. So ist es auch Laheri Kafabul, Bäuerin, und Zihalirwa Chakirwa, Pfarrer, ergangen. Zwei Zeugen vor dem Kongo Tribunal, die mit anderen Dorfbewohnern per Bus gekommen sind, um den Film zu sehen. Ihr erstes Mal im Kino.
Es ist, als öffne der Film ein Ventil bei den Zuschauern. Die Debatte danach – leidenschaftlich, verzweifelt: Ein Raum zu reden, zu klagen und gehört zu werden, hat bisher gefehlt, das spürt man.
Die rote Staubpiste ins Dorf war gut. Und das ist eine Nachricht. In der DR Kongo haben die Straßen meist tiefe Schlaglöcher. Der Kongo – wie gesagt: so groß wie Westeuropa – hat weniger als 1000 km asphaltierte Straßen, nicht mal zwischen den größten Städten des Landes, Kinshasa, Lubumbashi, Kisangani. Schienen gibt es auch nicht. Mit dem Boot den Kongo-Fluss hoch dauert es ewig. Wer es sich leisten kann, nimmt tatsächlich das Flugzeug. Oder rechnet, wie David van Reybrouck schreibt, für eine Strecke, die zur Kolonialzeit eine Stunde gedauert hätte, einen Tag. Wow.
Dass nun ausgerechnet diese Straße ganz gut ist, ist kein Zufall, erzählt mir Milo Rau. Die Piste wurde für das multinationale kanadische Unternehmen Banro gebaut, das hier die größte Goldmine der Welt betreibt. 2016 haben sie in ihren zwei kongolesischen Minen gut 56 Tonnen Gold abgebaut (knapp 200.000 Unzen). Ich habe den Wert schnell mal mit dem Jahresdurchschnittswert von Gold überschlagen: Macht 247.323.302 Dollar und 46 Cent. Geht alles in den Westen. Die anwohnenden Kongolesen durften früher als Schürfer arbeiten. Mittlerweile wird alles industriell gemacht, die Leute müssen sehen, wo sie bleiben. Aber die gute Straße, die haben sie immerhin Banro zu verdanken.
Wir schlängeln uns mit großen Geländewagen die grünen Hügel hoch. Die Landschaft ist unfassbar schön. Die Erde hier ist wahnsinnig fruchtbar, theoretisch könnten die Bauern dreimal im Jahr ernten. Wegen des Krieges geben die meisten ihre Felder auf. Zu oft wird alles von Milizen zerstört. Also importiert der Kongo Reis, u. a. aus Kanada. Ausgerechnet. Auch davon handelt „Das Kongo Tribunal“.
In einer kurzen Drehpause komme ich mit den Dorffrauen ins Gespräch. Während ich nach kürzester Zeit aussehe, als hätte ich mich im Staub gewälzt, sind sie wie aus dem Ei gepellt. Als ich mein Handy zücke, um Fotos von meinem Sohn zu zeigen, bin ich von 20-30 Leuten umzingelt. – Habe ich mein Kind denn nicht dabei? Wie kann das sein? Nicht dass sie alle Hausfrauen wären. Im Kongo ist das Modell der alleinverdienenden Frau verbreitet: Mit Säugling auf dem Rücken auf der Baustelle malochen, dann heim, Geld abliefern, und Monsieur geht dann unmittelbar danach davon Bier trinken. Auch patriarchal, aber anders.
Dass normale Menschen in dieser Gegend um Wasser betteln, hat die Kongo-Kennerin Colette Braeckman noch nicht erlebt. Das ist unter ihrer Würde, entspricht gar nicht ihrer Art. So schlecht geht es ihnen also. Und das bestätigen auch die Zeugen des Tribunals. Sie fühlen sich verlassen. Von ihrer Regierung, von ihrem Präsidenten, von der Welt.