Sie haben nichts gemacht
„Ils n’ont rien fait, ils n’ont rien fait, ils n’ont rien fait.“ Sie haben nichts gemacht. Zum letzten Mal wiederholt Amini Kabaaka Shemu diesen Satz. Dann Abspann.
Im „Kongo Tribunal“ führt Amini Kabaaka Milo Rau zu den Leichen im Dorf Mutarule. 35 Menschen sind hier gerade massakriert worden, auch Babys, sogar ein ungeborenes.
Das angegriffene Dorf ruft bei der 9 Kilometer entfernten Niederlassung der UNO um Hilfe. Die UNO tut nichts. Sie habe erst zwei Wochen zuvor einen Konfliktlösungs-Workshop in dem Dorf abgehalten, rechtfertigt sich die MONUCSO-Verantwortliche.
Am Ende des Films landen die Toten des Massakers in LKW-Planen gehüllt in einem Massengrab. Bernard Kalune Buleri, 57, bebt, wenn er an diese Szene denkt. Der Theaterschauspieler, Musiker und Schriftsteller hat selbst mal zwei Jahre für die UNO-Mission im Kongo gearbeitet.
Letzte Vorstellung
Die letzte Film-Debatte in Goma, Hauptstadt von Nord-Kivu, endet mit Hoffnung. Auch hier scheinen die Zuschauer neuen Mut zu fassen, als Staatsbürger einer Demokratie doch etwas verändern zu können. Zumindest konnten sie mal erzählen, zuhören, diskutieren. Das verleiht Tatendrang.
Wieder öffnet der Film die Schleusen. Als die Diskussion irgendwann zu Ende gehen muss, drängen sich die, die noch nicht dran waren, vor mein Mikro. Noch am nächsten Morgen spricht uns der Kellner an, der am Einlass zum Film geholfen und dann mitgeguckt hat: „Der Film hat mich unheimlich bewegt. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht.“
Was kann Kunst?
Kann Kunst also die Wirklichkeit verändern? – Im Kongo hat sie das schon. Zwei Minister sind 2015 unmittelbar nach – und wahrscheinlich wegen – ihren Aussagen vor dem Tribunal zurückgetreten.
Aber ist die Hoffnung, die der Film entfacht, stark, hält sie lange genug, um die Leute zum Handeln zu motivieren? Werden sie dran bleiben?
Der Film soll schnellstmöglich in Suaheli synchronisiert und und überall im Kongo gezeigt werden. Maître Sylvestre Bisimwa, Staatsanwalt beim Kongo Tribunal (in echt auch, u. a. beim Internationalen Strafgerichtshof Den Haag) hat sich von den Erlebnissen auf Film-Tour inspirieren lassen, wie er „Das Kongo Tribunal“ ins reelle Justizsystem übertragen könnte. Er feilt an der Idee, bald wird es konkret.
Milo Raus größte Hoffnung: Dass „Das Kongo Tribunal“ die Zuschauer im Westen – für die hat er den Film ja eigentlich gemacht – nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Handeln anregt.
„Dieser Mythos: ‚Wir können ja nichts dagegen tun.‘ – Das ist Schwachsinn! Wenn wir wollen, können wir die Welt sofort verändern: Die richtigen Produkte kaufen, die richtigen Leute wählen, die richtigen Aktionen machen, Geld schicken, selbst in den Kongo fahren. Wir müssen die tödliche Wirtschaftspolitik unserer Regierung jedenfalls nicht unterstützen.“, sagt er.
Aber
„Wer hat Ihrer Meinung nach von diesem Massaker profitiert?“ – Im Zeugenstand antwortet Amini Kabaaka wie aus der Pistole geschossen: „Die kongolesische Regierung.“ Ein Raunen geht durch die Menge, auf der Leinwand und jedes Mal auch im Kino-Saal. Den Gedanken, den alle gedacht haben, so offen auszusprechen, ist sehr mutig.
Amini Kabaaka ist verschwunden. Das Film-Team hat ihn vor der Kongo-Reise plötzlich nicht mehr erreicht. Allen Teilnehmern des Kongo Tribunals, mit denen ich gesprochen habe, geht es heute schlechter: Der Bäuerin, die kein Feld, kein Nutztier mehr hat und die mir nicht mal sagen kann, wie viele Enkel sie trotzdem ernähren muss – sie kann nicht zählen. Dem Schürfer, der früher aus einem selbst gegrabenen Loch Zinnerz geschöpft hat – nur so viel, wie er zum Überleben brauchte; der, wenn er das jetzt weiter tut, ein Verbrecher ist, weil die Regierung das gesamte Gebiet an eine Minen-Gesellschaft verschachert hat, die den Boden industriell plündern wird und damit zig tausende Einzelschürfer in den Ruin treibt. Den Angehörigen der massakrierten Frauen, Männer und Kinder von Mutarule, die immerhin einen Prozess hatten, der aber, so schätzt Staatsanwalt Bisimwa, die wahren Schuldigen außen vor gelassen hat.
Milo Rau hat hier einen Film gezeigt, der die Menschen politisiert, sie gehen ihre Regierung aufbringt. Aller Logik nach, müsste die Regierung ihn sofort verbieten. Doch nichts dergleichen ist geschehen. Seltsam eigentlich.
Die Erklärung ist zynisch: „Wenn der Film jemandem konkret Korruption nachweisen und gefährlich werden würde, wäre er längst verboten.“, sagt jemand, der nicht will, dass ich seinen Namen nenne. „Da es ums gesamte System geht, stört sie das nicht. Sie zücken sie die Schultern und machen genauso weiter wie vorher.“
Ich reise ab
Ich hoffe, dass es im Kongo 2018 Wahlen gibt, ohne Gewalt. Dass eine neue Regierung Gesetze beschließt, die die Plünderung durch den Westen ausbremsen. Dass die Idee eines oder mehrerer „Kongo Tribunale“ irgendwie weitergeführt, bzw. in die Wirklichkeit übersetzt wird. Ich wünsche mir, dass die Filmzuschauer im Westen verstehen, welches Unheil unser Rohstoffhunger erzeugt. Dass sie dann Wege finden, zu handeln. Wie Milo sagt: wählen, demonstrieren, spenden – im Bewusstsein leben, dass es Zufall ist, dass wir in diesen Wohlstand geboren sind, dass anderswo Leute dafür sterben.
Im Herzen der Finsternis zu recherchieren und ein Projekt zu begleiten, das die Menschen so bewegt, hat mich erfüllt und meiner Arbeit Sinn verliehen. Der Satz „Und bitte!“ ist in dieser gesamten Drehwoche nicht einmal gefallen.
Toll, dass meine Leser hier mich ermutigt haben. Danke! Ich schließe jetzt den Blog. – Bis zur nächsten Geschichte!