Goma, Tag 6

„Ich bin schon aufmüpfig zur Welt gekommen.“

Die Journalistin Solange Lusiku

Eine große Kirche, mehr als 2.500 Menschen. Ein guter Teil von ihnen sind glühende Fans des Oppositionspolitikers, der seit 10 Minuten auf sie einredet. – Ich erwähnte es im letzten Post: Vital Kamerhe, der versucht, die Wucht des „Kongo Tribunal“-Films für seine Zwecke zu nutzen.

Eine Frau, die Moderatorin der Filmdebatte, schreitet langsam zum Platz auf dem Podium, wo der Politiker sitzt. Kerzengerade. Gemessenen Schrittes, in ihrem bodenlangen engen Kleid und imposanten Turban, die blau-silbern glitzern. Sie verschränkt ihre Arme vor der Brust, hebt wie in Zeitlupe den Blick. Als würde sie die Augen verdrehen. Sie schaut ihm in die Augen, nur kurz. Und der mächtige Mann beendet seinen Sermon.
Heute schreibe ich über diese Frau.

Die Journalistin Solange Lusiku Nsimire, 44 Jahre alt, ist im Ostkongo eine Institution. Sie gibt die Zeitung „Le Souverain“ heraus, eines der wenigen unabhängigen Medien in der gesamten DR Kongo. Sie ist Journalistin und Feministin, Ikone und Hassobjekt.

Der „Souverain“, Übertitel: „Die Pressefreiheit ist ein Recht, und kein Geschenk des Politikers.“

Der Gouverneur von Süd-Kivu hat Solange mal eine „Hexe“ genannt. Er hat gedroht, sie bis aufs Blut zu bekämpfen – wörtlich „bis auf die Gedärme“ – sobald er nicht mehr an der Macht ist. Also jetzt. Vergangene Woche ist Marcellin Cishambo zurückgetreten. Er hatte seine Beamten 13 Monate lang nicht bezahlt, die Verwaltung lag lahm. Von den katastrophal schlechten Straßen habe ich schon geschrieben, auch vom fehlenden Trinkwasser. Der „Souvrain“ hat das kritisiert, die vielen Unterschriften unter der Rücktrittspetition abgedruckt.

„Le Souverain“ erscheint unregelmäßig, mal monatlich, mal alle zwei Monate – je nachdem, wie lange es dauert, ihn zu finanzieren und zu produzieren. Eine Ausgabe kostet 2.500 bis 3.000 Dollar. (Wegen der galoppierenden Inflation kommen hier Dollar aus dem Geldautomaten, die Francs Congolais nutzen die Leute nur für kleine Beträge). Für Leser ist der „Souverain“ kostenlos. Internationale NGOs zahlen. Nur so könne sie ihre Unabhängigkeit wahren, sagt Solange.

Redaktionskonferenz beim Souverain

Die 3.000 Dollar reichen bloß für 1.000 Zeitungen. Es gibt hier keine Druckerei – weder in Nord-, noch in Süd-Kivu, einem Gebiet so groß wie Westdeutschland. Der „Souverain“ wird also in Kampala, Uganda gedruckt. Ein Mitarbeiter durchquert Ruanda, fährt nach Uganda, muss unter Umständen tagelang Schlange stehen bis er drucken kann. Auf der Rückreise muss er auch noch fürchten, dass er wegen Ruanda-kritischer Artikel Ärger bekommt „Wenn man uns mit einem Artikel über die Ausbeutung der Rohstoffe erwischt, verschwinden wir.“, sagt Solange.

 

Mit 1000 Exemplaren ist Auflage zwar klein. In Wirklichkeit lesen aber viel mehr Leute den „Souverain“. Die Zeitung geht von Hand zu Hand, aber mit System:

Mittwochmorgen, Redaktionskonferenz. Ein Raum mit vergilbten Wänden, in der Mitte ein paar Tische. Vor dem Fenster hupen Autos, Laster brettern durch die Schlaglöcher. Solange sitzt vor fünf Männern und einer Frau, alle in ihren 20ern. Der nächste Aufmacher soll von der hoffnungslosen Lage junger Witwen handeln. Arme Frauen heiraten oft jung, geben ihre Ausbildung dafür auf. Wenn ihre Männer dann sterben – und das passiert hier oft – ist ihre Lage oft verzweifelt: „Das sind die Frauen, die man dann auf der Straße sieht, mit Zweibeln auf dem Kopf, die sie für Centbeträge verkaufen. Sie leben von weniger als 10 Dollar im Monat. Aber man muss ja die Kinder ernähren, monatlich 5 bis 10 Dollar Schulgeld zahlen, und die Miete. Diese Armut macht sie hoffnungslos, krank, treibt sie manchmal in die Prostitution.“ 

Frauenthemen haben für Solange Lusiku immer Vorrang – die Gleichberechtigung voranzutreiben, ist erklärtes Ziel des „Souverain“. Feministin sei sie quasi von Geburt an. „Gleichberechtigung ist ein Thermometer für die Gesellschaft. Wo Frauen den Kopf gesenkt halten, die Gesichter verschlossen, von Sorgen verdüstert – da kannst du sicher sein, dass die Menschenrechte nicht respektiert werden. Und das ist bei uns der Fall.“

Zum Journalismus ist sie eher zufällig gekommen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitet sie als Sekretärin. Eine erfahrene Journalistin entdeckt sie, als sie für deren Recherche ein paar Fakten zusammenschreibt. Inzwischen hat sie Preise gewonnen, u. a. 2014 den Courage in Journalism Award der International Women’s Media Foundation.

Journalismus im Kongo ist das Vorrecht des Mannes. Man ist hier also nicht zufällig Journalistin. Dafür braucht es Charakter.“, sagt Solange. Während Männer von klein auf zu selbstbewusstem Auftreten erzogen werden, braucht ein Mädchen starken Willen und Ehrgeiz, um überhaupt die Schule zu schaffen:

In ihrem Haus in Bukavu füttert Solange Lusiku 24 Verwandte mit durch. Neben Mann und 7 Kindern auch Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen, damit die ihren Eltern jetzt in den Ferien nicht auf der Tasche liegen. Sie zahlt auch deren Schulgebühr.

Wollen Solanges Töchter auch Journalistinnen werden? – „Auf keinen Fall.“ – „Warum nicht?“ – „Wir haben unsere Gründe.“
Solange ist seit 20 Jahren verheiratet und hat 7 Kinder. Die anderen auf dem Foto gehören auch zur Familie.

Die Tochter eines Lehrers wächst auf dem Dorf auf, als Mobutu gerade aufhört, Lehrer zu bezahlen. Sie bekommt mit, wie schwer es für Ihre Eltern ist. Ihr Vater unterrichtet trotzdem weiter. Wann immer er den Unterricht vorbereitet, muss Solange daneben sitzen und jegliche Texte, die da rumliegen, laut vorlesen und zusammenfassen. Dass die einzige Tochter neben den 4 Söhnen so gefördert wird, ist nicht typisch Kongo. Schon gar nicht in den 70er Jahren. „Mein Vater hat immer gesagt: Meine Kinder sind gleich.“ Vielleicht ist sie deshalb so selbstbewusst.

Die Weltkarte der Pressefreiheit hängt beim „Souverain“ an der Wand. Rot heißt „Schwierige Lage“.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit der NGO „Reporter ohne Grenzen“ belegt die DR Kongo Platz 154 von 180. 3 Journalisten sind in den vergangenen 4 Jahren verschwunden. Die Morde sind unaufgeklärt und unbestraft geblieben. Die Behörden schüchtern Journalisten ein, behindern ihre Arbeit, schreibt die Organisation.

Solange Lusiku kann davon ein Liedchen singen: Bevor er zurückgetreten ist, hat der Gouverneur befohlen, Journalisten vom „Souverain“ jegliche Informationen zu verwehren. „Und wenn Solange selbst vorbeikommt, erniedrigt sie so richtig.“, soll er der Polizei gesagt haben. Sie zwingen, sich auszuziehen. Über sie verbreiten, dass sie mit allen NGO-Muzungus schläft, die ihr Blatt finanzieren. Das hat sie nicht mal überrascht. Aber es war auch schon schlimmer, sie wurde auch schon persönlich bedroht:

Hat sie Angst? – Klar. „Aber wenn alle schweigen, wer soll dann die Wahrheit sagen?“ Solange ist schon an der nächsten Story dran. Worum es geht, darf ich aber nicht verraten.

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